tierrechtsprozess
Stimmungsbilder aus dem laufenden Prozess gegen die Tierrechtsbewegung in Österreich
Tag 31: Ist Tierbefreiung Tierquälerei?
Categories: der Prozess

Am 31. Verhandlungstag, dem 02.06.2010 drehte sich alles um die Schweinebefreiung im Betrieb des Michael Artner bei Wr. Neustadt. Der Drittangeklagte, Vier-Pfoten Campaigner Jürgen Faulmann, gilt als verdächtig, weil er den Betrieb am nachmittag vor der Befreiung im Rahmen eines Ausflugs mit einer Fahrradgruppe passiert und besichtigt hatte. Aus der damals laufenden Telefonüberwachung gehen Gespräche über leidende, verletzt und tote Tiere hervor, die Faulmann dort gesehen habe. Dieser Sachverhalt scheint ausreichendes Indiz zu sein, Faulmann auch als eigentlichem Schweinebefreier zu verdächtigen. Die Tat geschah allerdings erst am nächsten Tag, in den frühen Morgenstunden. Heute war ein für „Schweine“ eingetragener gerichtlich beeideter Sachverständiger geladen, der beurteilen sollte ob die Schweine bei der Befreiung Qualen ausgesetzt waren, also möglicherweise der Straftatbestand der Tierquälerei gegeben sein könnte: Dipl. Ing. Konrad Tschida ist gerichtlich beeideter Sachverständiger in sage und schreibe 25 Fachgebieten. Eigentlich sei er Weinbauer und Jäger, er hätte allerdings mal Schweineställe mit Innenausrüstung ausgestattet, daher konnte er sich erfolgreich im Fachgebiet „Schweine“ als Sachverständiger registrieren lassen. Dieser Eindruck kam auch deutlich bei seiner Befragung hervor:

Bezeichnend für den Prozess – und letztlich für unsere speziesistische Gesellschaft – dass hier tatsächlich diskutiert wurde ob Tiere, die ihr kurzes Leben in konventioneller Massentierhaltung verbringen müssen, bei einer Befreiung aus ihrem Gefängnis Stress und Schmerzen litten. Die alltägliche Tierquälerei in diesen Tierfabriken, die triste Monotonie, das Kastrieren ohne Betäubung, das betäubungslose Kupieren von Zähnen und Schwänzen, die miteinkalkulierten „Ausfälle“ – sprich Todesfälle – der Stress und Kannibalismus durch die zu hohe Besatzungsdichte, Angst, Schmerz und Leid bei den Tiertransporten und – zuletzt – am Schlachthof …
… all diese Tierquälerei wird ignoriert, sie soll nicht gehört werden, denn sie ist ja legitimiert durch den „vernünftigen Grund“: Schweinsbraten!

Nicht zuletzt aus diesem Grund seien hier aus Respekt vor den Tieren und zur allgemeinen Erinnerung an das Schicksal unserer nicht-menschlichen Verwandten das BekennerInnenschreiben und die diesem angefügten Fotos im Original angeführt:

"Wütende Wildschweine" befreien ihre "Verwandten"

In der Nacht auf Montag hat eine Zelle der ALF (Animal Liberation Front)
namens "Wütende Wildschweine" zwischen Brunn und Winzendorf (Bezirk Wr.
Neustadt, NÖ) alle etwa 200 genetisch degenerativ veränderten "Verwandten"
(auch als Hausschweine bekannt) aus einer katastrophalen Massentierhaltung
befreit. Diese haben sofort auf der Wiese vor der Halle begeistert zu
spielen und Gras zu fressen begonnen, was ihnen die Monate davor -
beschäftigungslos in der eigenen entsetzlich stinkenden Scheisse sitzend -
verwehrt blieb. Diese sehr sensiblen, intelligenten und sozialen Tiere (mit
Hunden vergleichbar) werden so eng eingepfercht physisch und psychisch krank
und beißen einander gegenseitig die Schwänze oder Ohren ab bzw. reissen
Fleischstücke aus dem Körper anderer, bis diese verbluten - alles
einkalkuliert. Kannibalismus für den Gaumenkitzel, haben wir als kulturell
hochentwickelte Gesellschaft im 3. Jahrtausend so eine Schande notwendig?
Rundherum sind noch dazu kilometerweit Wiesen und Felder; warum ist diese in
Österreich immer noch fast ausschliesslich so vorzufindende tierquälerische
Schweinehaltung erlaubt?
Billigfleisch kann dafür kein Argument sein, auch laut Tierschutzgesetz
nicht, trotzdem wird es von den meisten Menschen geduldet, verdrängt,
mitverantwortet, verkauft und gekauft. Wem bei diesen Bildern der Appetit
nicht vergeht, dem ekelt wohl vor gar nichts. Gesunde und leckere, rein
pflanzliche Alternativen gibt es aber heute nicht mehr nur in Bioläden
sondern bereits auch in vielen Supermärkten - vom Vleischkäs über Bratvurst
und Weizenprotein-Schnitzel bis hin zu Chili con Soja und Döner. Und der
Markt dafür ist stark im Steigen begriffen.

Auch wenn diese befreiten Schweine möglicherweise nicht lange ihre Freiheit
genießen können - jede Stunde zählt; denn in wenigen Wochen werden sie
brutal in Tiertransporter getreten und über oft lange Strecken in
Schlachthöfe gebracht, wo ihnen kopfüber hängend und meist bei vollem
Bewusstsein die Kehle aufgestochen wird, wodurch sie sich minutenlang
schreiend zu Tode zappeln. Menschen mit Herz und Hirn essen keine Tiere -
schon gar nicht wenn sie uns so erschreckend ähnlich sind, dass ihre Organe
von skrupellosen Ärzten sogar zur Transplantation missbraucht werden.

Weitere Infos zu Schweinen sowie gesunder Ernährung erhalten Sie auf
www.vgt.at, www.peta.at, www.vegan.at oder www.tierrechtsfilme.at

Die beiligenden Bilder wurden in hoher Auflösung dem Verein gegen
Tierfabriken (VGT.at) zugespielt, der sie auf Nachfrage gerne übermittelt.

Freiheit für Schweine!
Die "Wütenden Wildschweine"

Ein Bild von drinnen – die „normalen“ Ausfälle in der Nutztierhaltung
(beide toten Tiere schwer verletzt, eines offensichtlich von seinen ArtgenossInnen angefressen - Kollateralschäden der Nutztierhaltung)


Und eines nach der Befreiung von draußen(deutlich zu sehen die Symptome stressbedingten Kannibalismus' in der Massentierhaltung:

angebissene Schwänze (Tier in der Mitte des Bildes)):


In der Befragung des Sachverständigen DI Tschida kam allerdings heraus, dass dieser vom Verhalten von Schweinen und von ihren Schmerzen und Leiden keinerlei Ahnung hatte. Er sei kein Tierarzt, meinte er bloß. Er kenne sich mit den Anlagen zur Schweinehaltung aus. Die Richterin versuchte diesen Fehlgriff zu reparieren, indem sie den für die Schweinefabrik zuständigen Tierarzt, Dr. Nathaniel, der natürlich weder objektiv noch gerichtlich beeidet ist, rasch ans Gericht rufen ließ. Dadurch ging allerdings der gesamte Gerichtstag bei der Befragung dieser beiden Zeugen verloren und der ursprünglich geladene Sachverständige zur Frage der Tierquälerei bei einer Nerzbefreiung im Waldviertel im Jahr 1997(!) – eigentlich schon längst verjährt – musste unverrichteter Dinge wieder heimgehen.

Professor Gerhard Loupal von der veterinärmedizinischen Universität in Wien war als  Privatgutachter beigezogen worden und konnte die Verteidigung bei der Befragung beraten. Er selbst durfte aber – wieder einmal – keine Fragen stellen.

Der Tag blieb aber im Wesentlichen ohne Ergebnis: Die Befragung des Sachverständigen wird fortgesetzt und die Verteidigung hat beantragt, dass ein Tierarzt bzw. eine Tierärztin mit einem Gutachten zur Frage der Tierquälerei betraut werden müsse. Die Richterin hat zwar, wie immer, einen Beschluss zu diesem Antrag vertagt, aber unter den gegebenen Umständen scheint eine weitere Sachverständigenbestellung eher wahrscheinlich.

§ 248 der Strafprozessordnung sieht vor, so hat die Verteidigung von Anfang an argumentiert, dass alle Angeklagten nach jeder Zeugeneinvernahme eine Stellungnahme abgeben dürfen. Die Richterin ließ das zunächst sehr wiederwillig zu, verlegte sich dann aber darauf, die Angeklagten nur jeweils einmal pro Tag eine Stellungnahme zu allen Zeugenaussagen des Tages abzugeben. Doch heute verweigerte Mag. Sonja Arleth selbst das, nämlich eine Stellungnahme zu den Zeugenaussagen des Vortages, weil angeblich so ein Zeitmangel herrsche. Wenn sie allerdings jetzt plötzlich nur mehr alle 2 Tage, oder vielleicht jede Woche oder nach einem noch längeren Zeitraum eine Stellungnahme der Angeklagten zulassen sollte, dann wird § 248 StPO zweifellos pervertiert, weil es ja sowieso ein Schlussplädoyer gibt, also eine Stellungnahme zu allem bisher Gesagten. Dieses Schlussplädoyer ist aber im Gesetz von den Stellungnahmen zu den Zeugenaussagen verschieden. Wir werden sehen, ob hier ein weiteres Element eines rechtsstaatlich fairen Prozesses erodiert wird oder nicht.

Der Sachverständige Dipl. Ing. Konrad Tschida gab an, für die Erstellung des Gutachtens den fraglichen Stall besichtigt, mit dem Besitzer Michael Artner, dem betrieblichen Tierarzt, Dr. Nathaniel und dem Univ.Prof. Josef Troxler gesprochen zu haben.
Der Betrieb verfüge über etliche Kammern mit Mastboxen und Vollspaltenböden. Der Betriebstierarzt sagte ihm, dass ihm bei der Besichtigung der Tiere nach der Befreiung Schürfwunden aufgefallen seien. Insgesamt seien drei tote Tiere gefunden worden. Die Vermutung des Sachverständigen war, dass es vornehmlich beim Zurücktreiben der freigelassenen Tiere durch den Schweinebauern und der neuen Gruppenzusammenstellungen in den Mastboxen zu Rangkämpfen gekommen sei, wodurch die Verletzungen wohl entstanden sein müssen.

Auf Frage des Staatsanwalts Mag. Wolfgang Handler gab der Sachverständige an, dass der Betrieb den Gesetzen entspräche und ihm bei seinem Besuch keine Verletzungen der Tiere aufgefallen seien. Der Vollspaltenboden führe laut Tschida zu keinen Verletzungen an den Fußgelenken. Warum auf den Rechnungen Artner’s die die Schadenssumme belegen sollten auch eine „Räudebehandlung“ angeführt sei, war die Frage. Dies hätte nichts mit der Befreiung zu tun, aber er wisse eigentlich nicht, was Räude für eine Krankheit sei.

Als der Sachverständige zu Details über die auf den Fotos ersichtlichen Verletzungen und Verhaltensweisen befragt wurde, konnte er immer weniger sagen, er sei kein Tierarzt, stammelte er wiederholt bis er – tatsächlich wie vom Blitz getroffen – vollständig erstarrte und verstummte. Lediglich seine nervösen Augen blickten ängstlich hin und her.

Zumal er in seinem nur fünfseitigem Gutachten in keinster Weise jene Stellen gekennzeichnet hatte, die auf Aussagen des gerichtlich nich beeideten und nicht-unabhängigen Betriebstierarztes Dr. Nathaniel oder Angaben des Schweinebauers Artner Bezug nahmen, lud die Richterin kurzerhand Dr. Nathaniel am Telefon an und lud ihn in den Gerichtssaal als Zeuge.

Es stellte sich rasch heraus, dass praktisch alle wesentlich Information in Tschida’s Gutachten auf Aussagen und insbesondere auch Vermutungen Artner’s Betriebstierarzt Dr. Nathaniel basierten. Insbesondere aber auch, dass es mehr als fraglich sei, ob die Tiere beim nicht getriebenen Hinausgehen bei der Befreiung mehr gelitten hätten als beim getriebenen Zurücktreiben in die Boxen.

Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wurde der sach(un)verständige DI Tschida vorübergehend entlassen und zur weiteren Ladung vorgesehen.

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